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Windjammer Magazin

Wahres Seemannsgarn

Seemansgarn spannen Seemänner, wenn sie aus altem Tau- und Takelwerk Garn spannen. Heutzutage spinnen Seeleute meist nur im übertragenen Sinn – Geschichten.

Falls Sie auch gern spinnen: Schicken Sie uns Ihr Garn!

Master next God

von M. Jacobi

„Herr neben Gott" lautet der Titel eines Buches von Rolf Reinemuth (Koehlers VG. 1982, ISBN: 3782201949).

Gemeint sind Kapitäne, englisch auch „masters" genannt.

Die romantische Vorstellung von der Seefahrt sieht Kapitäne gern mit Bart und Pfeife zwischen den Zähnen an der Reling oder am Steuerstand stehen, das Gesicht vom Seewind gegerbt, stark, souverän und mit gottgleicher Machtfülle versehen.

Alles Seemannsgarn! Nein! Kein Seemannsgarn, sondern Landrattengarn! Denn das Garn der unumschränkten Herrschaft des Kapitäns wurde an Land gesponnen, weil es sich auf See gegen die traditionelle Praxis der Handelsschifffahrt nicht durchsetzen ließ. Diese sah vernünftigerweise vor, dass erwachsene Männer einem anderen erwachsenen Mann nur solange folgten, wie sie es für angezeigt hielten. Die Herrschaft der Kapitäne war keine unkontrollierte, und sie wurde bei Bedarf – beschränkt.

Dass solche Beschränkungen der Macht des Kapitäns durch die Mannschaft auf Handelsschiffen nicht von jeher als „Vergehen" aufgefasst, sondern mit einer gewissen Selbstverständlichkeit hingenommen wurden, zeigen u.a. ältere Reiseberichte und Logbücher.

So erzählt Alvise da ca'da Mosto 1454 von einer Handelsfahrt nach Gambia:

Daraufhin berieten die Anführer der Schiffe, ob wir den Fluss weiter hinauffahren sollten ... Doch unsere Matrosen, die heimkehren und sich keinen neuen Gefahren aussetzen wollten, begannen einstimmig zu murren, indem sie erklärten, sie würden solches nicht billigen, es reiche, was sie bereits für diese Reise getan hätten. Als wir sahen, dass dies ihr allgemeiner Wunsch war, gaben wir nach, um einen Streit zu vermeiden, denn es handelte sich um hartnäckige und dickköpfige Männer. (1)

Noch 1781 jammern Lübecker Kaufleute: der Matrose will nach Hause und der Schiffer muss (2). Kaufmannschaften und Schiffer-Verbände beschweren sich darüber, dass sich Seeleute bei jeder Gelegenheit ungebührliche Freiheiten, besonders in Verlassung der Schiffe herausnehmen (3). Man verlangt, dass die alten Gebräuche und Gesetze der Bootsleute renovieret, oder gar aufgehoben würden und dass dies obrigkeitlich confirmirit werden (3) müsse.

Bootsleute-Brauch war es zum Beispiel, dass ein Seemann für ein festes Ziel anheuerte, dass er mit dem Heuervorschuss die Führung eigener Handelsware finanzierte und dass er nicht wie auf einem Kriegsschiff Unter Than des Schiffers sei (3), sondern den Kurs mitzubestimmen habe. Renovierter Brauch wurde es dann, dass ein Seemann für eine Reise nach London anheuerte und erst sieben Jahre später zurückkehrte, weil man gelegenheitshalber einen kurzen Umweg über San Francisco und die halbe Welt gemacht hat. Natürlich blieb die Heuer dieselbe.

Da der Verlust der Heuer nicht ausreichte, um zu verhindern, dass Seeleute ihre Schiffe wegen zu langer Reisen, zu schlechter Verpflegung, verhungernder Kinder daheim oder aus anderen ungebührlichen Gründen verließen, wurden Mitte des 19. Jahrhunderts Gesetze erlassen, die solches kriminalisierten. In Preußen beispielsweise, verstieß ein Seemann ab 1854 gegen das Strafgesetz, wenn er auf einem anderen Schiff nach Hause fuhr.

Um jeden Kurs gegen den Willen der Besatzung durchsetzen zu können, mussten die Kapitäne mit größerer Macht ausgestattet werden als sie bis dahin inne hatten. Spätestens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bekam der Capitain immer Recht , wie es der deutsche Generalkonsul Stockmeyer in Rio de Janeiro gefordert hatte. Dafür sorgten die 1878 eingeführten Seeämter des Deutschen Reichs, die grundsätzlich jeden Kapitän freisprachen und ggf. ersatzweise die Steuermänner und andere Besatzungsmitglieder hinter Gitter brachten.

In dieser Zeit ungefähr muss das romantische Bild vom Kapitän als „unumschränkter Herrscher" entstanden sein. Es war geeignet, die neu erworbene Allmacht des Kapitäns an Bord von Handelsschiffen zu verklären. Zugleich diente es dazu, seine faktische Entmachtung zu verdecken. Denn immer mehr Schiffer verloren ihre Selbstständigkeit und gerieten unter die Kontrolle großer Reedereien, während sie staatlicherseits zu Spitzeldiensten verpflichtet wurden, indem sie bei Geldstrafe alle Vergehen ihrer Mannschaft gegen die Disziplin anzeigen mussten. Immer weniger Kapitäne waren selbst noch Miteigner ihrer Schiffe und wurden gegen Gehalt und Umsatzbeteiligung zum verlängerten Arm der Befrachter, die – weil gut versichert – zu irrsinnigen Fahrten in irrsinnigen Jahreszeiten hetzten.

Wenn das Leben an Bord trotz dieser Umstände erträglich blieb, dann vermutlich nicht, weil sich die Kapitäne im Glanz ihres Machtmonopols als „Master next God" gebärdeten. Eher schon, weil sie sich weiterhin als das zeigten, was sie immer schon waren: Menschen.

(1) zit. n. M. Spagnol, G. Dossena (Hrsg.), Logbuch, Blüchert Verlag, Hamburg 1965

(2) Heide Gerstenberger, Heiliger Petrus, Führung, Ziel (Seiten 8-16) in: Gerstenberger, Welke (Hrsg.), Das Handwerk im Zeitalter der Industrialisierung, Edition Temmen, Bremen o.J.

(3) Ulrich Welke, Obrigkeit auf dem Achterdeck (Seiten 68-76) in: a.a.O.


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